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Einleitung

Der folgende theoretische Teil gibt Aspekte zur Schulbaudiskussion wieder und vertieft einzelne Gesichtspunkte des Werkberichtes.

Nach einem Vorwort zur aktuellen Lage in der Schulbaudiskussion, speziell zu dem häufig zitierten "3. Pädagogen", wird das "Lernen" stichwortartig beschrieben. Es folgen Anmerkungen zur Bedeutung der Architektur für die Gesellschaft und Anmerkungen über die Bedeutung des Schulbaus innerhalb der Diskussion, wie sie von Architekten geführt wird.

Ein Kapitel behandelt kurz die Reformpädagogik, soweit sie für Architekten relevant ist. Dieser kurze Abriss soll im Zusammenhang mit den Literaturangaben zur Beschäftigung mit diesem Thema animieren. Dies insbesondere, da Architekten sich in der Regel mit dem Thema nur sehr allgemein auseinandersetzen, selbst dann, wenn sie Schulbau betreiben. Die Tatsache, dass z.B. ein so profunder Beobachter der kindlichen Wahrnehmung wie Piaget weltweit von Pädagogen, nicht aber von Architekten beachtet wurde, deutet auf diese "Blindheit" der Architekten bei der Pädagogischen Diskussion.

Ausführlicher behandelt der Soziologe Sigmar Gude die wichtige Rolle der Partizipation bei der Schulbauplanung. Beispiele von ausgeführten Projekten bei anderen Schulbauvorhaben aus unserem Architekturbüro werden stichwortartig dargestellt. Als Vorläufer zu dem Projekt Schulerweiterung Regine-Hildebrandt-Gesamtschule konnten wir wichtige Erfahrungen bei der Partizipation sammeln.

Ein anderer Beitrag behandelt die Rolle der Hirnforschung für das Lernen und für die Schulbauplanung. Auch hier wird weiterführende Literatur im Anhang empfohlen.

Die genannten Anregungen gehen davon aus, dass die Grundlagenforschung zum Schulbau über sehr allgemeine Formulierungen bisher nicht hinausgekommen ist. Im Wesentlichen wurden bisher allgemeine Tendenzen und Fallbeispiele dargestellt. Auch empirische Erhebungen sind eher marginal. Daher werden in einem Kapitel Aspekte zur gegenwärtigen Forschung im Schulbau behandelt.

Abschließend wird in gekürzter Form ein Vorschlag für eine 6-teilige Vortragsreihe wiedergegeben. Diese Vortragsreihe wurde der Architektenkammer vorgeschlagen. Leider stieß dieser Vorschlag auf kein weitergehendes Interesse, obwohl sich kompetente Referenten zur Verfügung gestellt hätten.

Ein Literaturverzeichnis beendet den theoretischen Teil.

Frischzellenkur für den 3. Pädagogen

Die Kennzeichnung des Schulraumes als "dritter Pädagoge" gehört zum Standard-Zitat in aktuellen Debatten zur Erneuerung der Bildung und der Schulen. Häufig wird hervorgehoben, dass moderne Bildung funktionale und atmosphärisch intakte Schulräume benötigt. Hochglanzbroschüren bebildern diesen Vorsatz mit bunten Grundschulen, höhere Schulen werden in eher zurückhaltenden Farben und Formen dargestellt.

Reicht das ?

Die Pädagogen reisen viel nach Skandinavien und wollen dort lernen, wie moderne Erziehung aussehen kann. Klar ist, dass die Pädagogik alter Beschulung für die Schüler und für die Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß ist. Die Schulbauarchitekten sind gegenüber Neuerungen durchaus aufgeschlossen. Was fehlt, ist eine eigenständige Auseinandersetzung mit den Anforderungen an den "3. Pädagogen", an den Schulraum in einer modernen Schulbaulandschaft.

Symptomatisch war für mich als Architekt in dieser Hinsicht eine Veranstaltung der Berliner Architektenkammer im Jahr 2009 zur Frage "Kann man gute Noten bauen?" Neues aus der Pädagogik hätte ich u.a. erwartet. Stattdessen referierten arrivierte Architekten über ihre Schulbauten. Auf Nachfrage nach theoretischen und pädagogisch-architektonischen Konzepten wurde allgemein geäußert, dass es doch nach dem 2. Weltkrieg von Sharoun und anderen Architekten theoretische Äußerungen zum Schulbau gegeben habe.

In der Tat: Ähnlich wie in den zwanziger Jahren Teile der Bauhausbewegung das Konzept des Bauens mit einem neuen Bild vom Menschen hinterfragt und von Grund auf neu weiterentwickelt haben, so fragten sich einige Architekten nach dem totalen Zusammenbruch Deutschlands 1945, wie sie einen modernen Schulunterricht, wie moderne Schulen, neue Werte und eine neue Erziehung ermöglichen könnten. Sharouns Schule in Marl (NRW) zeigt noch heute, wie Begeisterung für neues selbstbewusstes Lernen in kommunikativen Schulräumen gefördert werden kann; der beabsichtigte Abriss der Schule wurde nach lebhaften Potesten in eine staatliche Vollsanierung umgewandelt.

Gegenüber diesen Bemühungen nach neuer Schulbauqualität waren die Schulbauten der nachfolgenden Jahre eher von dem Bemühen geprägt, viel Bildung durch ein Großangebot an Schulbauquantitäten zu fördern. Im Westen entstanden z. T. riesige Schulbaufabriken, in der DDR grassierten die Typen-Bauten. Auf die entstehenden Schulbaumonster und Scheußlichkeiten wurde in der Bundesrepublik in den 80iger Jahren mit einem lauten "Zurück zur Architektur" gerufen. Architekten mit genialen Entwürfen sollten die Schulen wieder attraktiver machen. Heute ist für viele Schulbauarchitekten die Diskussion um die Bildung und den "3.Pädagogen" eine nützliche Hintergrundmusik für neue Aufträge.

Das aber reicht nicht:

In der Regel ist der Schulbauarchitekt der Ansicht, dass er/sie als ehemaliger Schüler/in für die inhaltlichen Fragen des Unterrichtes ausreichend informiert ist - den Rest findet er in Raumprogrammen, den Schulbaurichtlinien und Normen und durch die Windrichtung, die in den aktuellen Wettbewerbsergebnissen zum Ausdruck kommt. Da die meisten Schulbauaufträge an Architekten mit diesem "Hintergrund" vergeben werden, sind die hohen Schulbauinvestitionen nur äußerlich modern. Die nachträgliche "Bewerbung" der fertigen Schulbauten fragt selten nach inhaltlichen Konzepten; häufig geben die planenden Architekten selbst passende Abschlussworte. Gesellschaftliche Investitionen in dieser Größenordnung sollten besser fundiert sein, so wie das in fast jedem anderen gesellschaftlichen Bereich üblich ist oder zumindest gefordert wird. Welcher Autohersteller würde ein Auto mit Konzepten von vorgestern bauen?

Die Architekten sollten sich wie die Pädagogen mit den Erfordernissen eines modernen Unterrichtes auseinandersetzen. Insbesondere die Anforderungen für die Sekundarstufen sollten mit den Pädagogen und Schülern systematisch analysiert werden. Hospitieren am Unterricht kann auch Architekten nicht schaden. Was nehme ich in Schulräumen wahr?

Die in den Schulbaurichtlinien zementierten Anforderungen beziehen sich mehrheitlich auf wichtige technische Aspekte wie z.B. Sicherheit, Brandschutz und Bauphysik. Diese Richtlinien verfestigen traditionelle Grundrissstrukturen mit Rettungsfluren und gereihten Klassenzimmern, obwohl diese Richtlinien keine Gesetzeskraft haben, fördern sie doch in der vereinfachenden Praxis den tradierten Umgang mit der Materie. Neudenken würde Arbeit und Verantwortung erfordern. Es geht aber auch anders wie zwei Beispiele mehrgeschossiger Bauweise aus dem Landkreis Oberhavel in Bandenburg zeigen (vgl. den vorgenannten Werkbericht zu unserer Schulerweiterung Regine-Hildebrandt-Gesamtschule und die im Rohbau fertig gestellte Schule in Mühlenbeck). Am Beispiel der Verkrustung von Grundrissen und Schulbaukonzepten sollte die Diskussion um den Schulbau auch unter den Architekten neu und systematisch angegangen werden; wissenschaftliche Forschung inklusive.

Die rapiden Fortschritte der Hirnforschung untermauern den engen Zusammenhang von emotionaler und kognitiver Entwicklung. An diesem Zusammenhang hat die bauliche Organisation und Gestaltung einen großen Anteil. Forschungen an gebauten Bespielen und intensive Diskussionen mit den Nutzern sind nötig, um die bauliche Organisation und Gestaltung an die Erfordernisse eines zeitgemäßen Unterrichtes anzupassen.Wir müssen schon genauer wissen, was der "3. Pädagoge" leisten soll, was er kann und was er leisten könnte. Das Beispiel Hirnforschung zeigt, dass auch zu scheinbar Unerforschlichem detaillierte Aussagen gemacht werden können. Der Architekt wird nicht ersetzt durch solche Erkenntnisse, sondern eher gefordert und gefördert.

Die im Landkreis Oranienburg entstehenden Schulbauten zeigen völlig neuartige Grundrisse im Mehrgeschossbau. Solche Bauten sollten keine neuen Typen kreieren, sondern die Diskussion und die Entwürfe aus dem bleiernen Dornröschenschlaf reißen und Auftakt sein für neuartige Herangehensweisen:

Auch wir Schulbau-Architekten sind lernfähig!

W. Linsenhoff

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